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Auszug der aktuellen Rechtsprechung
des Sozialgerichts Stuttgart
(Stand: August 2024)

I. Arbeitslosenversicherung 

Urteil vom 10.05.2023, S 3 AL 4307/20 (rechtskräftig):

a. Leitsätze

Im Rahmen der Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts i.S.d. § 152 SGB III ist die oder der Arbeitslose der Qualifikationsgruppe zuzuordnen, die der beruflichen Qualifikation entspricht, die für die Beschäftigung erforderlich ist, auf die die Agentur für Arbeit die Vermittlungsbemühungen für die Arbeitslose oder den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat.

Auch wenn die oder der Arbeitslose im Rahmen seiner letzten Beschäftigung höherwertige Tätigkeiten ausgeübt haben mag, kommt es für die bei der Bemessung des Arbeitsentgelts allein maßgebliche Frage der Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit für die zukünftige Tätigkeit ganz überwiegend auf die Erzielung eines förmlichen Berufsabschlusses an.

Eine bestimmte Qualifikation im Sinne eines förmlichen Berufsabschlusses ist nach § 152 Absatz 2 SGB III dann erforderlich, wenn die Tätigkeit nach den tatsächlichen Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt ohne den betreffenden Berufsabschluss nicht ausgeübt werden kann. Dann muss die oder der Arbeitslose aber zwingend über diesen Berufsabschluss verfügen, um in die entsprechende Qualifikationsgruppe eingeordnet zu werden.

b. Sachverhalt 

Die Beteiligten streiten über die Höhe des dem Kläger zustehenden Arbeitslosengeldes. Der Kläger war vor dem Eintritt seiner Arbeitslosigkeit als Betriebsschlosser sozialversicherungspflichtig beschäftigt, ohne über einen förmlichen Berufsabschluss zu verfügen. Mit dem streitgegenständlichen Bewilligungsbescheid wurde dem Kläger Arbeitslosengeld unter Zugrundelegung einer fiktiven Bemessung des Arbeitsentgelts nach der Qualifikationsgruppe 4 (keine Ausbildung erforderlich) des § 152 SGB III bewilligt. Da der Kläger über keinen förmlichen Berufsabschluss verfüge, sei er im Rahmen der Bemessung als ungelernter Arbeiter einzustufen. Hiergegen wandte sich der Kläger im sozialgerichtlichen Klageverfahren und machte geltend, dass er im Rahmen seiner letzten Beschäftigung qualifizierte Tätigkeiten als Betriebsschlosser durchgeführt habe. Damit sei bewiesen, dass er über die berufliche Qualifikation als Betriebsschlosser verfüge und als solcher beschäftigt gewesen sei. Er sei entsprechend einzustufen und nicht als ungelernter Arbeiter.

c. Entscheidung

Das Sozialgericht wies die Klage ab, weil die Einstufung der Beklagten in die Qualifikationsgruppe 4 - ausgehend von den Tätigkeiten, auf die sich die Vermittlungsbemühungen der Beklagten zukünftig zu erstrecken gehabt hätten - nicht zu beanstanden gewesen sei. 

 

II. Grundsicherung für Arbeitsuchende 

Urteil vom 01.03.2023, S 18 AS 1538/22 (rechtskräftig):

a. Leitsätze

Eine Anspruchsgrundlage für einen Mehrbedarf für Tierhaltungen ist im SGB II nicht vorgesehen, weil die Hundehaltung nicht zum vom SGB II zu gewährleistenden Existenzminimum rechnet.

Trotz des erheblichen Anstiegs der Inflation liegt eine Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums durch die gesetzliche Höhe des Regelbedarfs (Stufe 1) jedenfalls für Leistungsbezieher, die in den Anwendungsbereich des § 73 SGB II (Einmalzahlung zum Ausgleich der mit der COVID-19-Pandemie in Zusammenhang stehenden Mehraufwendungen in Höhe von 200,00 €) fallen, in dem den Monat Juli 2022 umfassenden Bewilligungszeitraum nicht vor.

b. Sachverhalt

Der Kläger begehrte höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts u.a. unter Berücksichtigung einer Hundehaftpflichtversicherung und der von ihm geltend gemachten Verfassungswidrigkeit der Höhe des Regelbedarfs.

c. Entscheidung

Die Klage hatte keinen Erfolg. Eine Absetzbarkeit der Beiträge zur Hundehaftpflichtversicherung vom Einkommen nach § 11b SGB II scheide deshalb aus, weil der Kläger im streitigen Zeitraum Einkommen unterhalb der anrechenbaren Einkommensgrenze erzielt habe. Im Übrigen sei eine Anspruchsgrundlage für einen Mehrbedarf für Tierhaltungen im SGB II nicht vorgesehen, weil die Hundehaltung nicht zum vom SGB II zu gewährleistenden Existenzminimum rechne. Soweit der Kläger sich auf die Verfassungswidrigkeit der Regelleistung berufe, könne auch hieraus kein höherer Anspruch abgeleitet werden, denn die Schaffung des § 73 SGB II stelle eine hinreichende zeitnahe Reaktion des Gesetzgebers im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) dar.

 

III. Rentenversicherung 

1. Urteil vom 01.03.2023, S 7 BA 3218/20 (nicht rechtskräftig)

a. Leitsatz 

Die mit Wirkung zum 01.04.2022 in Kraft getretene Neuregelung des § 7a SGB IV findet keine Anwendung auf davor eingeleitete und mit Bescheid abgeschlossene Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV in der bis zum 31.03.2022 geltenden Fassung. 

b. Sachverhalt

Die Deutsche Rentenversicherung stellte als Beklagte fest, dass in dem Auftragsverhältnis des Beigeladenen als Praxisvertreter der Klägerin (Inhaberin einer privatärztlichen Praxis und eines MVZ) Anfang 2019 Versicherungspflicht aufgrund abhängiger Beschäftigung in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung, Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie keine Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung bestehe (Bescheid vom 18.03.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.07.2020). Nach Anhörung änderte die Beklagte die Bescheide im Klageverfahren im April 2022 nun dahingehend ab, als dass der Beigeladene vom Anfang 2019 als Praxisvertreter bei der Klägerin eine abhängige Beschäftigung ausgeübt habe. Dieser Bescheid berücksichtigte die ab dem 01.04.2022 geltende Rechtslage zur Feststellung des Erwerbsstatus. Die Begründung zur Versicherungspflicht im Ursprungsbescheid sei insoweit gegenstandslos.

c. Entscheidung

Das Sozialgericht hob die Bescheide auf. Der während des Klageverfahrens im April 2022 erlassene Bescheid beschränke sich auf die Feststellung des Vorliegens einer abhängigen Beschäftigung. Die Beklagte sei aber im Rahmen von § 7a SGB IV in der alten, bis zum 31.03.2022 geltenden Fassung nicht ermächtigt gewesen, Verwaltungsakte allein zum (Nicht-)Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung zu erlassen. Die neue Regelung des § 7a SGB IV, welche mit Wirkung zum 01.04.2022 eingeführt wurde, sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Dafür ergebe sich keine Grundlage im Gesetz oder dem maßgebenden intertemporalen Recht. Die Anwendung der Neufassung des § 7a SGB IV im Rahmen noch offener Klageverfahren hätte nämlich auch zur Konsequenz, dass sämtliche bereits erlassenen Bescheide aufgehoben werden müssten, da diesen der unzutreffende Prüfungsmaßstab zugrunde läge. Vielmehr ergebe sich aus der begrenzten Geltungsdauer der Neuregelung nach Maßgabe des § 7a Abs. 7 SGB IV, dass der Versuch einer Optimierung des Verwaltungsablaufs nur für die Zukunft unternommen werden solle.


2. Urteil vom 13.07.2023, S 17 BA 5518/19 (rechtskräftig)

a. Leitsatz

Ein Bezieher einer Altersrente, der als sog. Senior Experte für seinen bisherigen Arbeitgeber tätig wird, wird aufgrund seines Ausscheidens aus dem Erwerbsleben nicht berufsmäßig im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV tätig, sodass eine (zeit-)geringfügige Beschäftigung in Betracht kommt.

b. Sachverhalt 

Die Klägerin wandte sich gegen eine Beitragsnachforderung aus einer Betriebsprüfung für die Tätigkeit des Beigeladenen als sog. Senior Experte. Der Beigeladene wurde im Rahmen des „Senior Expert“-Programms der Klägerin tätig und übte nach Beginn des Bezugs einer Altersrente eine vertraglich im Voraus befristete und sich innerhalb der zeitlichen Grenzen der kurzfristigen Beschäftigung bewegende Tätigkeit aus. Er unterstützte dabei mit seinem Wissens- und Erfahrungsschatz die Stammbelegschaft und gab sein Expertenwissen an Nachwuchskräfte weiter. Die beklagte Rentenversicherung nahm an, dass Berufsmäßigkeit vorliege und eine kurzfristige Beschäftigung ausscheide. 

c. Entscheidung

Die Kammer hat der Klage stattgegeben und die streitgegenständlichen Bescheide aufgehoben. Insbesondere liege keine Berufsmäßigkeit im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV vor. Bezieher einer Altersrente seien aus dem Erwerbsleben ausgeschieden und daher nicht berufsmäßig tätig. Dem stehe es nicht entgegen, wenn die Rente wegen Anrechnung des Hinzuverdienstes zeitweilig (teilweise) entfalle. Jedenfalls soweit der Senior Experte nicht ganz wesentlich auf die zusätzlichen Einkünfte aus der Beschäftigung für den ehemaligen Arbeitgeber angewiesen sei, lägen keine Umstände des Einzelfalls vor, die im Rahmen einer Ergebniskontrolle für eine Berufsmäßigkeit sprechen könnten. Die Anrechnung von Vorversicherungszeiten führe ebenso wenig zu einer Berufsmäßigkeit. § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV verlange gerade keinen zeitlichen Abstand oder eine Andersartigkeit der Tätigkeit.


3. Urteil vom 12.10.2023, S 20 BA 3556/20 (Berufung anhängig) 

a. Leitsatz

Zur Abgrenzung einer abhängigen Beschäftigung von seiner selbstständigen Tätigkeit betreffen die Tätigkeit als „Abfallberater“ in einem Entsorgungsbetrieb.

b. Sachverhalt

Zwischen den Beteiligten war im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens nach § 7a SGB IV streitig, ob der Beigeladene hinsichtlich seiner Tätigkeit für die Klägerin als „Abfallberater“ der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und dem Recht der Arbeitsförderung unterlag. Die Klägerin betrieb ein Voll-Service-Unternehmen im Bereich Entsorgungs-Management mit verschiedenen Bereichen, der Beigeladene war dort unter anderem als Abfallberater tätig. Die Klägerin und der Beigeladene schlossen einen Rahmenvertrag über Beratungsdienstleistungen für eine Tätigkeit als Berater in allen Fragen der Altpapierentsorgung. Die Deutsche Rentenversicherung Bund stellte fest, dass das Auftragsverhältnis als Abfallberater für die Klägerin im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde und Versicherungspflicht in der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe. Der Beigeladene sei in die Betriebsorganisation der Klägerin eingegliedert.

c. Entscheidung

Das SG wies die Klage ab. Nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV sei Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setze eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig sei. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb sei dies dann der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert sei und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliege. Demgegenüber sei eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer Betriebstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig sei, hänge davon ab, welche Merkmale überwögen.

Nach Feststellung der Kammer sei der Beigeladene auf dem Betriebsgelände der Klägerin tätig gewesen. Die Aufgabe des Beigeladenen habe darin bestanden, das ankommende Rohmaterial, also vorwiegend Altpapier, aber auch Elektroabfall, mittels einer Sichtprüfung zu kontrollieren und auf Verunreinigungen zu prüfen. Nach Verarbeitung des Rohmaterials in der Kanalballenpresse sei durch den Beigeladenen eine weitere Sichtkontrolle der verarbeiteten und gepressten Ballen erfolgt. Sofern dem Beigeladenen verunreinigtes Material oder ein verunreinigtes bzw. mangelhaftes Endprodukt aufgefallen sei, habe er dies dem Geschäftsführer der Klägerin mitgeteilt, der dann alles Weitere veranlasst habe. Im Rahmen der abwägenden Gesamtbetrachtung überwögen für diese Tätigkeit die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung. Insbesondere das Ergebnis des Arbeitsprozesses des Beigeladenen sei täglich in den Betriebsablauf der Klägerin eingebracht worden. Er habe bei der Verwirklichung des Betriebszweckes, der Verarbeitung von Altpapier und Elektroabfall, mitgewirkt. Diese Arbeit stelle eine dienende Teilhabe am Arbeitsprozess der Klägerin dar, sodass der Beigeladene in deren Betriebsablauf eingegliedert gewesen sei. Diese Tätigkeit, also die Kontrolle der Rohstoffe und der Endprodukte der Klägerin, habe den Schwerpunkt der Beauftragung des Beigeladenen dargestellt. Eine beratende Tätigkeit sei hierdurch nicht entstanden. 

 

IV. Gesetzliche Krankenversicherung

1. Urteil vom 16.03.2023, S 17 KR 5772/19 (rechtskräftig)

a. Leitsatz 

Für die Kodierung des OPS 5-837.7 (Wirbelkörperersatz und komplexe Rekonstruktion der Wirbelsäule: Kolumnotomie und polysegmentale dorsale Lordosierungsspondylodese (DLS) nach Zielke) genügt ein Eingriff an zwei Segmenten. Die systematische Auslegung ergibt, dass polysegmental nur so verstanden werden kann, dass mehr als ein Abschnitt, also mindestens zwei Abschnitte, betroffen sein müssen.  

b. Sachverhalt

Die klagende Krankenkasse begehrte die (teilweise) Erstattung der Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung durch das beklagte Krankenhaus. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MD) sei zu dem Ergebnis gekommen, dass der OPS 5-837.7 zu streichen sei. Für dessen Abrechnung sei ein Eingriff über mehrere Wirbelsäulen-Segmente erforderlich, was bei zwei Segmenten nicht anzunehmen sei. 

c. Entscheidung

Die Kammer wies die Klage ab. Der Begriff „polysegmental“ im streitgegenständlichen OPS bedeute, dass mehrere Abschnitte betroffen seien müssten. Ob hierfür bereits zwei Segmente genügten, bleibe bei reiner wortlautorientierter Auslegung offen. Unter Einbeziehung systematischer Erwägungen sei jedoch anzunehmen, dass für die Kodierung des OPS 5-837.7 bereits zwei Segmente genügten. Dies ergebe sich bei systematischer Auslegung in Zusammenschau mit beispielsweise dem OPS 5-837.9 einerseits und andererseits dem OPS 5-836.30 bis 5-836.33. Es werde entweder lediglich differenziert zwischen einem Abschnitt (monosegmental) und mehreren Abschnitten (polysegmental) oder es werde genauer aufgeführt, wie viele Segmente betroffen sein müssten. Polysegmental könne daher nur so verstanden werden, dass mehr als ein Abschnitt, also mindestens zwei Abschnitte, betroffen sein müssten. 


2. Urteil vom 22.03.2023, S 11 BA 2072/22 (rechtskräftig) 

a. Leitsätze

Das maßgebende regelmäßige Arbeitsentgelt i.S.v. § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ist das Arbeitsentgelt (§ 14 Abs. 1 SGB IV), auf das jemand im Laufe des auf den Beurteilungszeitpunkt folgenden Jahres einen Anspruch hat oder das ihm sonst mit hinreichender Sicherheit zufließen wird. Regelmäßig in diesem Sinne bedeutet, dass mit hinreichender Sicherheit zu erwartendes Arbeitsentgelt von nicht zu erwartendem (und nicht zu berücksichtigendem) Arbeitsentgelt abgegrenzt werden soll. 

Besteht ein arbeitsvertraglicher Anspruch auf Zahlung eines Jahresarbeitsentgeltes, das über der jeweils maßgeblichen Jahresarbeitsentgeltgrenze (JAEG) liegen soll, und entspricht dies auch dem kontinuierlich praktizierten Willen der Arbeitsvertragsparteien, ist davon auszugehen, dass das für das Folgejahr zu erwartende Arbeitsentgelt die JAEG überschreiten wird.

b. Sachverhalt 

Zwischen den Beteiligten war die Nachforderung von Pflichtversicherungsbeiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung und dabei insbesondere die Frage streitig, ob das regelmäßige Arbeitsentgelt der Beigeladene über der jeweils maßgeblichen JAEG lag. Die Beigeladene war bei der Klägerin als Mitarbeiterin seit den 90er Jahren angestellt und seit vielen Jahren privat kranken- und pflegeversichert. Zwischen der Klägerin und der Beigeladenen bestand eine - zunächst mündliche - Vereinbarung, wonach die Beigeladene ein Jahresarbeitsentgelt erhalte, das über der JAEG liegen solle. Hierzu vereinbarten die Vertragsparteien die Bezahlung von Überstunden und ggf. zusätzlich die Vergütung eines Betrages, der zum Erreichen der jeweils gültigen JAEG führen sollte. Im Rahmen einer Betriebsprüfung für den streitigen Zeitraum stellte die Beklagte fest, dass das regelmäßige Arbeitsentgelt der Beigeladenen in den streitigen Jahren die JAEG unterschritten habe und forderte insoweit die Pflichtversicherungsbeiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Jahre nach. Ob das regelmäßige Jahresarbeitsentgelt die maßgebende JAEG übersteige, sei in einer vorausschauenden Betrachtung festzustellen. Grundlage hierfür sei das gegenwärtige und bei normalem Verlauf für ein Zeitjahr zu erwartende Arbeitsentgelt. Bezüge, die nicht mit hinreichender Sicherheit erwartet werden könnten, wie etwa individuelle Überstundenvergütungen, seien nicht auf die JAEG anzurechnen.

c. Entscheidung

Das Sozialgericht gab der Klage statt und hob die Bescheide auf. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt sei nicht die Überstundenvergütung, sondern die Tatsache, dass zwischen den Arbeitsvertragsparteien eine Absprache bestanden habe, wonach die Beigeladene ein jährliches Arbeitsentgelt erhalte, welches die für das jeweilige Jahr maßgebliche JAEG überschreite und dies auch fortlaufend praktiziert worden sei. Wie dieses Arbeitsentgelt in der Buchhaltung tatsächlich zur Auszahlung gekommen und ob dies teilweise über Sonderzahlungen oder Überstunden deklariert worden sei, sei nicht entscheidungserheblich.

 

3. Gerichtsbescheid vom 13.04.2023, S 18 KR 519/22 (rechtskräftig) 

a. Leitsatz

Eine Ceragem-Massageliege zählt als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung. 

b. Sachverhalt 

Der an einer schweren Osteochondrose leidende Kläger begehrte von der beklagten Krankenkasse die Versorgung mit einer Massageliege. 

c. Entscheidung

Das Sozialgericht wies die Klage ab, da die Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 33 Abs. 1 SGB V nicht vorgelegen hätten. Bei der hier begehrten Ceragem-Liege handele es sich um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, da die Ceragem-Liege nach dem Konzept des Herstellers als „Wellness- und Healthcare-Produkt“ dem allgemeinen Wohlbefinden, der Erholung und Entspannung dienen und einen gesunden Lebensstil unterstützen solle und insofern nicht speziell für kranke und/oder behinderte, sondern für alle Menschen konzipiert sei. Dass die Liege daneben insbesondere auch der Vorbeugung und Behandlung von Rückenbeschwerden dienen solle, sei demgegenüber ohne Belang. Eine spezielle Ausrichtung der begehrten Massageliege(n) auf Krankenbehandlungen konnte das Gericht nicht erkennen.

 

4. Urteil vom 13.12.2023, S 15 KR 1464/22 (rechtskräftig)

a. Leitsatz 

Im Rahmen des unmittelbaren Behinderungsausgleichs ist die Versorgung mit einem Exoskelett nicht geeignet, wenn die im Hilfsmittelverzeichnis genannten Indikationen nicht erfüllt sind.

b. Sachverhalt 

Die Beteiligten stritten um die Kostenübernahme für ein Exoskelett. Der Kläger erlitt eine Lendenwirbelfraktur und ist seitdem querschnittsgelähmt. Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass ein alltagsrelevanter Gebrauch gegenüber einem Rollstuhl und einem Stehständer nicht gegeben sei. Es könne nicht damit gerechnet werden, dass ein alltagsrelevantes Gehen erreicht werden könne, da die oberen Extremitäten durch Krücken zur unterstützenden Stabilisierung der Körperposition belegt seien. Zudem bestehe keine gesunde Knochendichte des Klägers. Eine gesunde Knochendichte sei aber laut Hilfsmittelverzeichnis Voraussetzung für die Versorgung. 

c. Entscheidung

Das Sozialgericht wies die Klage ab. Das Exoskelett diene dem unmittelbaren Behinderungsausgleich, da es um den Ausgleich der durch den Schaden verloren gegangenen Funktion der Beine, die für den Menschen im Wesentlichen aus dem Stehen und Gehen besteht, gehe. Jedoch sei die im Hilfsmittelverzeichnis genannte Indikation bei dem Kläger nicht erfüllt. Als Voraussetzung für das Exoskelett werde im Hilfsmittelverzeichnis der Nachweis einer gesunden Knochendichte, eine ausreichende Funktionsfähigkeit in den oberen Extremitäten und dessen Bewegungsumfang mit ausreichender Rumpfstabilität sowie Beweglichkeit von Hüft-, Knie- und Fußgelenken aufgelistet. Die Indikation sei bei der Bewertung der Geeignetheit des Hilfsmittels heranzuziehen. Bei dem Kläger habe eine herabgesetzte Knochendichte sowie eine Erkrankung im Schultergelenk vorgelegen. Deshalb war das Gericht der Ansicht, dass die Versorgung mit einem Exoskelett bei dem Kläger nicht geeignet sei, da dieses nur mit Unterarmgehstützen genutzt werden könne und insgesamt ein hoher Kraftaufwand erforderlich sei. 

 

V. Schwerbehindertenrecht 

Gerichtsbescheid vom 25.05.2023, S 22 SB 4651/21 (rechtskräftig)

a. Leitsatz

Führt das Verhalten des Klägers zur Aufhebung einer angeordneten Begutachtung, geht dies unter Berücksichtigung der Grundsätze der objektiven Beweislast zu seinen Lasten.

b. Sachverhalt

Der Kläger begehrte die Feststellung eines Grades der Behinderung von 100 sowie die Zuerkennung der Merkzeichen G, aG, H, B und RF wegen einer von ihm geltend gemachten ME/CFS-Erkrankung (Myalgische Enzephalomyelitis / das Chronische Fatigue Syndrom). Die allein als behandelnde Ärztin angegebene Hausärztin hatte eine Auskunft erteilt. Das Gericht hielt deren Angaben nicht für ausreichend und ordnete eine Begutachtung auf dem neurologischen Fachgebiet an. Der beauftragte Gutachter teilte dem Gericht schließlich mit, dass der Kläger nach mehrfacher Kontaktaufnahme mitgeteilt habe, dass er eine körperliche und neurologische Untersuchung nicht wünsche und sicher auch nicht zu einer psychiatrischen Exploration oder einer neuropsychologischen Diagnostik bereit sei. Das Gericht forderte den Kläger dazu auf, seine Bereitschaft, sich vom Sachverständigen untersuchen zu lassen und an der gutachterlichen Untersuchung mitzuwirken, schriftlich zu bestätigen, was die Kläger ablehnte. Der Gutachtensauftrag wurde sodann aufgehoben. 

c. Entscheidung 

Das Sozialgericht wies die Klage ab. Die Bemessung des GdB sei grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe. Dabei habe insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen. Vorliegend habe sich das Gericht nicht davon überzeugen können, welche Art von funktionellen Auswirkungen aufgrund des ME/CFS-Syndroms beim Kläger vorlägen. Dabei unterliege die Feststellung des GdB bzw. der Voraussetzungen der begehrten Merkzeichen den Grundsätzen der objektiven Beweislast. Danach trage derjenige die Folgen der Nichterweislichkeit einer Tatsache, der daraus ein Recht oder einen rechtlichen Vorteil herleiten wolle. Der Grundsatz der objektiven Beweislast greife dann ein, wenn das Gericht trotz aller Bemühungen bei der Amtsermittlung den Sachverhalt nicht weiter aufklären könne. Das Gericht erforsche den Sachverhalt von Amts wegen (§ 103 Satz 1 SGG). Die Beteiligten seien hierzu mit heranzuziehen (§ 103 Satz 1 SGG). Eine Mitwirkungspflicht der Beteiligten - hier des Klägers - bestehe immer dann, wenn das Gericht den Sachverhalt anderenfalls nicht oder nicht vollständig selbst erforschen könne. Die Grenzen der zumutbaren Mitwirkung ergäben sich aus dem den Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) konkretisierenden § 65 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB I). Solle Beweis - wie vorliegend - durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erhoben werden, treffe den Kläger die Obliegenheit, zum Zwecke der Begutachtung beim Sachverständigen zu erscheinen - oder wie hier den Hausbesuch zuzulassen - und an der Untersuchung aktiv mitzuwirken. Das Gericht könne den Kläger aber nicht zwingen, sich einer Untersuchung und Begutachtung zu unterziehen.

 

VI. Sozialhilfe/Asylbewerberleistungsgesetz  

Beschluss vom 10.10.2023, S 11 AY 2971/23 ER (rechtskräftig) 

a. Leitsatz

Im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19.10.2022 (1 BvL 3/21, BVerfGE 163, 254) stellt sich die verfassungsrechtliche Problematik der Regelungen in § 3a AsylbLG als vergleichbar dar, denn auch insoweit bestehen keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass in den Sammelunterkünften regelmäßig tatsächlich Einsparungen durch gemeinsames Wirtschaften erzielt werden oder werden können, die eine Absenkung der Leistungen um 10 % rechtfertigen würden. Vor diesem Hintergrund sind angesichts der überwiegenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache im Eilverfahren keine hohen Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Eilbedürftigkeit zu stellen.

b. Sachverhalt

Zwischen den Beteiligten war die Gewährung von Grundleistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG in der Regelbedarfsstufe 1 (statt Regelbedarfsstufe 2) streitig. Der Antragsteller war zum Zeitpunkt der Antragstellung in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht und im Besitz einer Aufenthaltsgestattung.

c. Entscheidung

Das Sozialgericht gab dem Antragsteller im vorläufigen Rechtsschutzverfahren Recht. Es verpflichtete die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig, dem Antragsteller Leistungen gemäß §§ 3, 3a AsylbLG in der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren. Aus der genannten Entscheidung des BVerfG ergebe sich nach Auffassung der Kammer ohne Zweifel auch die Verfassungswidrigkeit der Parallelregelung des § 3a Abs. 1 Nr. 2 lit. b AsylbLG bzw. § 3a Abs. 2 Nr. 2 lit. b AsylbLG.


VII. Gesetzliche Unfallversicherung 

1. Urteil vom 17.05.2023, S 21 U 3144/21 (rechtskräftig)

a. Leitsatz

Zur Ablehnung des Vorliegens eines Arbeitsunfalls eines forstwirtschaftlichen Unternehmers im Nebenerwerb bei Verrichtung einer Tätigkeit, die dem eigenwirtschaftlichen Bereich des Versicherten zuzuordnen ist (hier: Schaffung eines Lagerortes für Brennholz für das private Heizen)

b. Sachverhalt 

Zwischen den Beteiligten stand die Feststellung eines Unfallereignisses als Arbeitsunfall im Streit, bei dem sich der Kläger bei Abrissarbeiten am Fuß verletzte.

Der Kläger betrieb ein forstwirtschaftliches Unternehmen im Nebenerwerb. 

c. Entscheidung

Das Sozialgericht wies die Klage ab, da kein Arbeitsunfall vorgelegen habe. Die Bauarbeiten in einem ehemaligen Stallgebäude hätten in keinem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gestanden. Die Kammer sei davon überzeugt, dass die Bauarbeiten nicht dem Wirtschaftsbetrieb, sondern in erster Linie wesentlichen privaten Zwecken gedient hätten. Nach dem Einbau einer neuen Heizung (Tausch von Ölheizung auf Pellet-Scheitholz-Heizung) habe ein Lagerort für Brennholz für das private Heizen geschaffen werden sollen. Objektive Anhaltspunkte, dass die Arbeiten auch ohne den Einbau der neuen Heizung und dem Bedarf an Brennholz durchgeführt worden wären, bestünden keine. Ein Versicherungsschutz nach § 124 SGB VII scheide aus.


2. Urteil vom 24.05.2023, S 13 U 6494/18 (Berufung anhängig)

a. Leitsatz 

Zur Annahme eines Arbeitsunfalls bei einem Sturz bei der Aberntung eines Kirschbaums auf einer bewirtschafteten Obstwiese mit 48 Bäumen mit Most- und Tafelobst.

b. Sachverhalt 

In diesem Verfahren war die Anerkennung eines Arbeitsunfalles streitig. Die Klägerin war beim Kirschenernten auf einem Grundstück vom Baum gestürzt, das sie zusammen mit der Eigentümerin des Grundstücks - mit der sie auch befreundet ist - bewirtschaftete. In dem Verfahren war insbesondere streitig, ob die Klägerin als sog.  „Wie-Beschäftigte“ im Rahmen einer gezielten Aberntung von Obst tätig war oder ob sie lediglich Kirschen im eigenen Interesse gepflückt hat, um sie selbst unmittelbar zu verbrauchen, oder sie im Rahmen eines Freundschaftsdienstes bei der Ernte geholfen hat. 

c. Entscheidung

Die Kammer gab der Klage statt und erkannte das Ereignis (Sturz vom Baum) als Arbeitsunfall im Rahmen einer „Wie-Beschäftigung“ an. Die Grundstückeigentümerin habe ein versichertes landwirtschaftliches Unternehmen und nicht lediglich einen Kleingarten geführt. Die Klägerin habe bei den Erntearbeiten auf dem Grundstück der der Eigentümerin als „Wie-Beschäftigte“ nach § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII unter dem Versicherungsschutz der beklagten Berufsgenossenschaft gestanden. Die Kammer ging davon aus, dass es sich bei der Tätigkeit der Klägerin nicht um eine reine Gefälligkeitsleistung im Rahmen der Freundschaft gehandelt habe. Die Klägerin und die Grundstückseigentümerin hätten über einen längeren Zeitraum in relativ großem Umfang zusammen Obst angebaut und die Klägerin habe regelmäßig auf dem Grundstück gearbeitet. Es sei glaubhaft, dass der Kirschbaum abgeerntet werden sollte. Das Pflücken von circa 6 kg Kirschen, die im Umfang von circa 4,5 kg für die Klägerin und im Umfang von 1,5 kg für die Eigentümerin des Grundstückes bestimmt gewesen seien, habe dem landwirtschaftlichen Unternehmen der Eigentümerin gedient. Es habe sich hierbei nicht um eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit der Klägerin gehandelt. Eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit wäre in dieser Konstellation nur anzunehmen, wenn der Zweck des Pflückens nicht im Rahmen des planmäßigen Aberntens der Bäume/Sträucher zu sehen wäre, sondern allein dazu gedient hätte, zum eigenen Verbrauch Obst zu ernten. Dies sei nicht der Fall gewesen.

 

3. Urteil vom 24.05.2023, S 13 U 3177/19 (rechtskräftig)

a. Leitsatz 

Die Nichterweislichkeit, dass sich der Unfall auf einem versicherten Weg ereignete, geht nach den allgemeinen Grundsätzen der materiellen Beweislast zulasten des Beteiligten, der hieraus ein Recht oder einen rechtlichen Vorteil herleiten will. Für die den Versicherungsschutz des § 8 Abs. 1 i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII begründenden Umstände und damit auch für die Tatsache, dass der Geschädigte am Unfalltag einer versicherten Tätigkeit nachging und er sich auf dem Heimweg von dieser Tätigkeit befand, trägt die Hinterbliebene die Beweislast.

b. Sachverhalt 

Im diesem Verfahren war ein Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen gegen die beklagte Berufsgenossenschaft streitig. Der Ehemann der Klägerin war - mit dem Fahrrad - auf der Rückfahrt nach einem Aufenthalt in einem von ihm und seiner Familie genutzten Garten tödlich verunglückt. Die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen wurde abgelehnt, da die Beklagte davon ausging, dass er zum Grillen im Garten war.

c. Entscheidung 

Das Sozialgericht wies die Klage ab. Es habe nicht festgestellt werden können, ob der Geschädigte an dem Unfalltag einer versicherungspflichtigen landwirtschaftlichen Tätigkeit nachgegangen oder ob er ausschließlich zur Erholung im Garten gewesen sei. Die Familie habe an diesem Tag mit ihm im Garten gegrillt, er sei dann aber alleine im Garten zurückgeblieben. Niemand habe angeben können, was er vor dem Besuch der Familie und nach dem Essen bis zu seiner Heimfahrt gemacht habe. Die Klägerin trage die Beweislast dafür, dass sich der Unfall während einer bei der Beklagten versicherten Tätigkeit ereignet habe. 

 

4. Gerichtsbescheid vom 26.07.2023, S 21 U 1933/22 (Berufung anhängig) 

a. Leitsatz

Zur Ablehnung der Feststellung von Unfallfolgen (hier SLAP-II-Läsion, Synovitis, intraartikulärer freier Gelenkkörper und Bursitis subacromialis der Schulter) nach einer Corona-Schutzimpfung.

b. Sachverhalt 

Zwischen den Beteiligten war die Feststellung weiterer Unfallfolgen sowie die Gewährung von Heilbehandlung anlässlich eines Arbeitsunfalls (hier: Impfung gegen Covid 19) streitig. 

c. Entscheidung

Das Sozialgericht wies die Klage ab. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Anerkennung weiterer Unfallfolgen und keinen Anspruch auf Weitergewährung von Heilbehandlung. Zwischen den Beteiligten unstreitig sei die Feststellung eines Arbeitsunfalls (hier: Impfung gegen Covid 19) und dass hierbei ein vorübergehender Reizzustand des Schulterkappenmuskels links entstanden sei, wie die Beklagte insoweit mit dem angefochtenen Bescheid anerkannt habe. Dieser Gesundheitserstschaden sei aber folgenlos ausgeheilt. Soweit die Klägerin darüber hinaus eine SLAP-II-Läsion, eine Synovitis, einen intraartikulären freien Gelenkkörper sowie eine Bursitis subacromialis der linken Schulter als Unfallfolgen geltend mache, seien diese Gesundheitsstörungen bei vorbestehenden wesentlichen degenerativen Veränderungen im Bereich der betroffenen Schulter nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit auf den Unfall zurückzuführen.

 

5. Urteil vom 15.12.2023, S 10 U 615/23 (Berufung anhängig)

a. Leitsatz 

Die mit Wirkung zum 18.06.2021 eingefügte Vorschrift des § 8 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII („Wird die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte.“) ist auf ein Unfallereignis vor deren Inkrafttreten nicht anwendbar. 

b. Sachverhalt

Zwischen den Beteiligten war die Anerkennung eines Arbeitsunfalls streitig. Der Kläger arbeitete Anfang Februar 2021 im Home-Office. Er befand sich auf dem Weg vom ersten Obergeschoss ins Erdgeschoss, um seine Brotbox in die Küche zu bringen und im Anschluss daran die Toilette aufzusuchen. Hierbei stürzte er und zog sich einen Oberschenkelbruch zu. Der Unfallversicherungsträger lehnte die Feststellung eines Arbeitsunfalls ab.

c. Entscheidung

Die Klage hatte keinen Erfolg. Die mit Wirkung zum 18.06.2021 eingefügte Vorschrift des § 8 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII („Wird die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte.“) sei auf den vorliegenden Sachverhalt im Februar 2021 nicht anwendbar. Diese Regelung entfalte keine Rückwirkung. Im Übrigen sei mit der Einfügung des § 8 Abs. 1 Satz 3 SGB VII der bis dahin ergangenen Rechtsprechung des BSG zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein in der häuslichen Arbeitsstätte erlittener Unfall unter Versicherungsschutz stehe, nicht der Boden entzogen worden. Nach wie vor gelte, dass ein in der gesetzlichen Unfallversicherung geschützter Betriebsweg ausscheide, wenn bei einer häuslichen Arbeitsstätte (Home-Office) ein Weg innerhalb des Wohngebäudes zurückgelegt werde, um - wie hier - einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen.  

 

VIII. Vertragsarztrecht 

1. Urteil vom 25.10.2023, S 12 KA 2118/19 (rechtskräftig)

a. Leitsatz 

Die Mitglieder einer Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) haften persönlich für unzulässige Arzneimittelverordnungen eines anderen Mitglieds. Dies gilt auch dann, wenn die BAG zwischenzeitlich aufgelöst wurde.

b. Sachverhalt 

Die Klägerin, eine Fachärztin für Innere Medizin, war Mitglied einer mittlerweile aufgelösten Gemeinschaftspraxis und danach in einer Einzelpraxis vertragsärztlich tätig. Die Gemeinsame Prüfungsstelle setzte gegen sie einen Regress wegen unzulässiger Arzneimittelverordnung fest. Die Ärztin erhob Klage und trug vor, die nicht verordnungsfähigen Arzneimittel habe nicht sie verordnet, sondern ein anderes Mitglied der Gemeinschaftspraxis. Rechtsnachfolgerin der Gemeinschaftspraxis sei ebenfalls nicht sie, sondern ein Medizinisches Versorgungszentrum, in das alle übrigen Kollegen der Gemeinschaftspraxis eingetreten seien. Sie habe lediglich die Betriebsstättennummer übernommen.

c. Entscheidung

Das Sozialgericht wies die Klage ab. Die Mitglieder einer Berufsausübungs­gemeinschaft (früher Gemeinschaftspraxis) hafteten persönlich für Forderungen gegen die BAG, die sich z.B. im Falle rechtswidrigen Behandlungs- oder Verordnungsverhaltens von Praxispartnern ergäben. Dementsprechend seien Regress- bzw. Rückforderungsbescheide, die nur gegen einen Partner der BAG gerichtet seien, nicht zu beanstanden. Diese Einstandspflicht bestehe auch dann fort, wenn die BAG zwischenzeitlich beendet worden sei. Wie der Regress von den Partnern der BAG im sogenannten Innenverhältnis untereinander aufzuteilen sei, sei eine andere Frage, auf die es für die Rechtmäßigkeit des Regressbescheides nicht ankomme.

 

2. Gerichtsbescheid vom 23.11.2023, S 5 KA 5174/19 (rechtskräftig)

a. Leitsatz 

Für eine Honorarkürzung bei nicht rechtzeitigem Nachweises der Erfüllung der Fortbildungsverpflichtung eines Vertragsarztes kommt es nicht nur auf die Erfüllung der Fortbildungsverpflichtung an, sondern auch auf den rechtzeitigen Nachweis.

b. Sachverhalt 

Bei der Klägerin, einer Vertragsärztin, erfolgte eine Honorarkürzung wegen nicht rechtzeitigen Nachweises der Erfüllung der Fortbildungsverpflichtung nach § 95d SGB V. Die Ärztin erhob Klage und trug vor, sie habe die Fortbildungen innerhalb des vorgeschriebenen Fünfjahreszeitraumes absolviert und sei davon ausgegangen, dass die Fortbildungszertifikate von der Landesärztekammer an die Kassenärztliche Vereinigung übermittelt würden.

c. Entscheidung

Das Sozialgericht wies die Klage ab. Nach § 95d Abs. 3 Satz 1 SGB V habe ein Vertragsarzt alle fünf Jahre gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung den Nachweis zu erbringen, dass er in dem zurückliegenden Fünfjahreszeitraum seiner Fortbildungspflicht nachgekommen sei. Diese Verpflichtung sei nicht als Verpflichtung zur Fortbildung formuliert, sondern als Verpflichtung, den Nachweis hierfür zu erbringen. Entsprechend knüpfe die Honorarkürzung nicht an eine fehlende Fortbildung, sondern an den fehlenden Nachweis an.

 

IX. Verfahrensrecht 

Gerichtsbescheid vom 04.08.2023, S 15 KR 1106/23 (rechtskräftig)

a. Leitsatz

Ein Telefax genügt nicht den Anforderungen des § 65d SGG und stellt kein elektronisches Dokument im Sinne der § 65a ff. SGG dar. Ein unverzüglicher Hinweis des Gerichts hinsichtlich der Unzulässigkeit der Klageerhebung per Fax hat nicht zu erfolgen. 

b. Sachverhalt 

Die Prozessbevollmächtigte erhob per Fax Klage. Das Gericht wies erst nach Ablauf der Klagefrist darauf hin, dass die Klage per Fax nicht formwirksam sei. Die Prozessbevollmächtigte teilte hierzu mit, dass eine elektronische Übermittlung nicht möglich gewesen sei. Sie habe bei der Zentrale des Gerichts angerufen und die Geschäftsstelle habe ihr daraufhin erläutert, dass die Übermittlung per besonderem elektronischen Anwaltspostfach (beA) häufiger nicht funktioniere. Vor diesem Hintergrund reiche die Übermittlung per Fax aus. Die Prozessbevollmächtigte habe alles Erforderliche getan, die Klage zu übermitteln. Sie sei aufgrund der Nachfrage bei Gericht davon ausgegangen, dass die Einreichung der Klage per Fax ausreichend sei. Es sei erst fast einen Monat nach Klageeinreichung und 14 Tage nach Fristablauf ein Hinweis des Gerichts erfolgt. Ein unverzüglicher richterlicher Hinweis hätte zu einer rechtzeitigen Übermittlung der Klage als elektronisches Dokument geführt. 

c. Entscheidung

Das Sozialgericht wies die Klage als unzulässig ab, da die per Fax eingereichte Klage die Formvorschrift des § 65d Abs. 1 SGG nicht wahre. Ab dem 01.01.2022 seien insbesondere Rechtsanwälte und Behörden zur Übermittlung eines elektronischen Dokuments verpflichtet, die Einreichung als Schriftstück per Telefax sei ab diesem Zeitpunkt nicht mehr wirksam (BSG, Beschluss vom 16.02.2022, B 5 R 198/21 B). Es habe auch keine Ausnahme vorgelegen, nach welcher eine Übermittlung per Telefax zulässig gewesen sei, da eine unverzügliche Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit durch die Prozessbevollmächtigte nicht erfolgt sei. Auch ein Hinweis der Geschäftsstelle entbinde einen Rechtsanwalt nicht von seinen Pflichten. Ein unverzüglicher Hinweis des Gerichts müsse ebenfalls nicht erfolgen. Einem Rechtsanwalt und Organ der Rechtspflege müsse die Rechtslage bekannt sein. Der Rechtsanwalt habe das Recht zu kennen. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien weder vorgetragen noch ersichtlich.

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