Der Kläger begehrt von der beklagten Krankenkasse die Übernahme der Kosten für medizinisches Cannabis.
Der Kläger leidet unter anderem an kombinierten vokalen und multiplen motorischen Tics (sog. Tourette-Syndrom). Er konsumierte seit 2009 Cannabis und befand sich zweimal erfolglos in einer Klinik zum Cannabisentzug.
Der Kläger trägt vor, dass er das Cannabis zur Behandlung des Tourette-Syndroms benötige. Cannabis habe seine Tics stark eingegrenzt und ihre Intensität abgeschwächt. Er beruft sich zudem auf den Bericht einer Uniklinik aus dem Jahr 2020 und die Angaben seines die Cannabisblüten verordnenden Vertragsarztes Herrn T., wonach es bei dem Tourette-Syndrom keine Therapiealternativen gebe. Außerdem führt der Kläger aus, er habe vor der Behandlung bei seinem Vertragsarzt zahlreiche Medikamente ausprobiert und bei deren Einnahme unter Nebenwirkungen wie z.B. Übelkeit und Erbrechen gelitten. Die Beklagte stützt sich dagegen auf abweichende Gutachten des Medizinischen Dienstes Baden-Württemberg (MD), denen zufolge Therapiealternativen beständen.
Die Klage vor der 14. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe hatte keinen Erfolg:
Ein Anspruch auf Versorgung mit Cannabisblüten setzt nach § 31 Abs. 6 SGB V unter anderem voraus, dass eine schwerwiegende Erkrankung besteht. Weiter darf eine dem allgemeinen medizinischen Standard entsprechende Therapiealternative nicht vorliegen oder nach begründeter Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes des Versicherten nicht zur Anwendung kommen.
Das Gericht ging von einer schwerwiegenden Erkrankung aufgrund des Tourette – Syndroms beim Kläger aus. Es nahm jedoch das Vorliegen von Therapiealternativen (z.B. Medikamente mit Wirkstoffen wie Haloperidol und eine Verhaltenstherapie z.B. das sog. „Habit Reversal Training“) an. Das Gericht konnte sich nicht davon überzeugen, dass der Kläger die zahlreichen von ihm angegebenen Medikamente und Behandlungen tatsächlich durchgeführt hat, weil es dafür an Nachweisen fehlte. Darüber hinaus waren die von ihm angegebenen Nebenwirkungen der Medikamente nicht ärztlich befundet. An die begründete Einschätzung des Vertragsarztes sind im Übrigen auch nach Wegfall des Genehmigungsvorbehalts zum 17.10.2024 weiter hohe Anforderungen zu stellen. Übernimmt ein Arzt nur ungeprüft die Angaben des Klägers zu von ihm vorgeblich gegen Tourette eingenommenen Medikamente und ihm dadurch angeblich entstandenen Nebenwirkungen, reicht dies nicht für eine begründete Einschätzung aus. Ebenso darf ein Vertragsarzt nicht nur die positiven Effekte des Cannabiskonsums auf das Tourette Syndrom darstellen, sondern er hat auch die möglichen schädlichen Auswirkungen in seine Abwägung einzustellen. Dies gilt insbesondere, wenn dafür – wie hier – aufgrund eines mehrmaligen erfolglosen Cannabisentzugs in der Vergangenheit besonderer Anlass besteht.
Urteil vom 15.09.2025 – S 14 KR 739/22
Berufung anhängig bei dem Landessozialgericht Baden-Württemberg, L 4 KR 3360/25