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Bei Abschluss eines Vergleiches im schriftlichen Verfahren erhält der Anwalt auch in sozialgerichtlichen Verfahren eine Terminsgebühr (fiktive Terminsgebühr).

Datum: 25.10.2006

Kurzbeschreibung: 

I.

Im Klageverfahren war die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) als von 60 ab 01.09.2003 streitig. Mit den angefochtenen Bescheiden vom 17.03.2004 und 16.08.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.09.2004 wurde ein GdB (Gesamt-GdB) von 30 für die Zeit vom 01.07.1999 bis 31.08.2003 bei Vorliegen einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit in diesem Zeitraum sowie von 60 ab 01.09.2003 festgestellt. Im anschließenden Klageverfahren holte das Gericht drei sachverständige Zeugenauskünfte der den Kläger behandelnden Ärzte (nebst verschiedenen Fremdarztunterlagen) ein. Hierauf unterbreitete der Beklagte das Vergleichsangebot vom 02.06.2005 und erklärte sich bereit, den GdB auf 70 ab 01.09.2003 festzusetzen; außergerichtliche Kosten werden zu 2/3 erstattet.

Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 02.07.2005 nahm der Kläger das Vergleichsangebot des Beklagten vom 02.06.2005 an und erklärte den Rechtsstreit damit in der Hauptsache für erledigt. Gleichzeitig beantragte er, die zu erstattenden Kosten wie folgt festzusetzen:

Für das Widerspruchsverfahren:

Insgesamt                318,42 €

Für das Sozialgerichtsverfahren:

VV 3103 RVG

Verfahrensgebühr

170,00 €

VV 3106 RVG

Terminsgebühr

200,00 €

VV 1006 RVG

Erledigungs- u. Einigungsgebühr

190,00 €

VV 7002 RVG

Auslagenpauschale

20,00 €

VV 7000 RVG

8 Kopien

4,00 €

VV 7008 RVG

16 % Mehrwertsteuer

93,44 €

Für das Sozialgerichtsverfahren insgesamt:

677,44 €

Insgesamt:                                                                                                                      995,86 €      

Hiervon 2/3                                                                                                                    663,91 €

Der Beklagte hat gemäß Schriftsatz vom 13.07.2005 an außergerichtlichen Kosten 509,24 € angewiesen; die Kosten für das Widerspruchsverfahren sind hierbei antragsgemäß erstattet worden, für das Klageverfahren ist der Beklagte jedoch der beantragten Terminsgebühr in Höhe von 200,00 € dem Kostenfestsetzungsantrag des Klägers nicht gefolgt.

Nach Meinung des Klägers (Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 22.07.2005) sei auch die beantragte Terminsgebühr nach der Nr. 3106/3104 VV RVG in Ansatz zu bringen.

Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 28.07.2005 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Sozialgerichts Karlsruhe die vom Beklagten dem Kläger zu erstattenden außergerichtlichen Kosten auf 509,24 € fest. Dem lag folgende Berechnung zugrunde:

Widerspruchsverfahren          318,42 €

Klageverfahren

Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV RVG 170,00 €

Einigungsgebühr Nr. 1006 VV RVG  190,00 €

Auslagenpauschale       20,00 €

8 Kopien             4,00 €

16%MWSt.       61,44 €

zusammen        445,44 €

insgesamt        763,86 €

hiervon 2/3     509,24 €

Wegen der Einzelheiten wird auf die Begründung im Kostenfestsetzungsbeschluss Bezug genommen.

Gegen diesen Beschluss hat der Bevollmächtigte des Klägers am 03.08.2005   Erinnerung eingelegt und weiterhin die Auffassung vertreten, dass eine Terminsgebühr nach VV RVG 3106/3104 über die im RVG ausdrücklich geregelten Fälle hinaus auch bei Abschluss eines Vergleiches entstehe. Dass der „Vergleich“ bei der Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG nicht mehr erscheine, sei eindeutig auf ein Versehen des Gesetzgebers zurückzuführen. Denn aus welchem Grunde sollte sich hier ein anderer Sachverhalt ergeben als bei der Nr. 3104 VV RVG?

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen und sie dem Gericht zur Entscheidung vorgelegt.

Beide Beteiligten haben daraufhin ihren bisherigen Standpunkt weiterhin aufrecht erhalten. Der Kläger hat noch auf verschiedene Aufsätze sowie Kommentierungen verwiesen, wonach hier von einem Versehen des Gesetzgebers ausgegangen werden müsse. Der Beklagte ist auch im Hinblick auf die Kommentierung der Auffassung, dass in Verfahren vor den Sozialgerichten bei   schriftlichen Vergleichsabschlüssen keine Terminsgebühr fällig werde, was sich eindeutig aus dem Wortlaut der Vorschriften Nr. 3104 VV RVG sowie Nr. 3106 VV RVG ergebe.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten und der Prozessakten S 10 SB 4130/04 sowie auf die gewechselten Schriftsätze inhaltlich Bezug genommen.

II.

Die Erinnerung ist zulässig (§ 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und begründet.

Streitig ist im vorliegenden Falle allein die Frage, ob der Kläger einen Anspruch auf eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 in Verbindung mit Nr. 3104 des Vergütungsverzeichnisses (VV) der Anlage l zu § 2 Abs. 2 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) hat.

Zur Überzeugung der Kammer steht dem Kläger eine derartige Terminsgebühr - neben den unstreitigen Kosten für das Widerspruchsverfahren sowie insbesondere neben der jeweils unstreitigen Verfahrensgebühr wie auch Einigungsgebühr - zu.

Hierbei handelt es sich, wie beispielsweise bereits im Beschluss des Sozialgerichts (SG) Speyer vom 25.11.2005, S 6 R 282/05, als auch im Beschluss des SG Karlsruhe vom 16.10.2006, S 10 SB 134/06 KO-A, ausgeführt, um eine fiktive Terminsgebühr, wobei im vorliegenden Verfahren zu berücksichtigen ist, dass der Rechtsstreit nicht durch ein (volles) Anerkenntnis gemäß § 101 Abs. 2 SGG seine Erledigung gefunden hat, sondern vielmehr durch die Annahme des schriftlichen Vergleichsangebotes des Beklagten aufgrund einer prozessbeendenden Erledigungserklärung des Klägers.

Nr. 3106 VV RVG normiert, dass eine Terminsgebühr in Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG), in Höhe von 20,00 € bis 380,00 € anfällt. Ziffer 3. der Nr. 3106 VV RVG führt aus, dass die Gebühr auch entsteht, wenn das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet. Alleine aus diesem Wortlaut heraus besteht daher kein Anspruch auf eine fiktive Terminsgebühr. Ein derartiges Ergebnis würde aber zur Überzeugung des Gerichts der gesetzgeberischen Intention, eine außergerichtliche Erledigung zu fördern und dadurch in möglichst vielen Fällen eine mündliche Verhandlung zu verhindern, völlig zuwiderlaufen (vgl. hierzu auch die Begründung im Gesetzesentwurf der Bundesregierung unter III.5: „Die außergerichtliche Streiterledigung soll ferner dadurch gefördert werden, dass die Terminsgebühr auch dann anfallen soll, wenn der Rechtsanwalt nach Erteilung eines Klageauftrags an einer auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechung mitgewirkt hat“). Für den Fall, dass in sozialgerichtlichen Verfahren nach Streitwert abgerechnet wird, sieht Nr. 3104 Abs. l Ziffer l, am Ende, VV RVG auch eine fiktive Terminsgebühr vor, wenn ein schriftlicher Vergleich geschlossen und dadurch eine mündliche Verhandlung vermieden wird. Ein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung von sozialgerichtlichen Verfahren mit Betragsrahmengebühren einerseits und Verfahren, in denen Gebühren nach dem Streitwert abgerechnet werden andererseits, ist im Hinblick auf das gesetzgeberische Ziel der Terminsvermeidung zur Überzeugung des Gerichts nicht zu erkennen. Diese Auffassung hat das SG Speyer, a. a. O., gleichfalls - zu Recht - vertreten.

Die - möglicherweise auch nur vermeintliche - widersprüchliche Ausformulierung in den Nrn. 3104 VV RVG sowie 3106 VV RVG dürfte daher auf einem gesetzgeberischen Versehen beruhen (vgl. ferner auch Guhl in NZS 2005, 194, 195; Beschluss des Sozialgerichts Koblenz vom 19.08.2005, S 5 KR 351/04). Nach alledem hat der Kläger neben der jeweils unstreitigen Verfahrensgebühr sowie Einigungsgebühr auch einen Anspruch auf eine fiktive Terminsgebühr in analoger Anwendung der Nr. 3104 VV RVG.

Gestützt wird dieses Ergebnis ferner - entgegen der Auffassung des Beklagten - durch die maßgebliche Literatur. So wird beispielsweise in Baumgärtel u. a., Kommentar zum RVG, 1. Auflage, ausdrücklich dargelegt, dass nach Nr. 3104 VV RVG i. V. m. Nr. 3106 VV RVG der Rechtsanwalt eine volle Terminsgebühr nunmehr auch für den Abschluss eines schriftlichen Vergleiches in einem Verfahren, für welches eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, verdient, wobei dies nun nicht mehr für umstritten erachtet wird (vgl. Baumgärtel u. a., a. a. O., Teil 3 VV RVG Terminsgebühr Nr. 3104, Randnr. 4, m. w. N.). Dieses Ergebnis lässt sich auch aus der Kommentierung von Gerold/Schmidt u. a. zum RVG, 16. Auflage, ableiten. Unter Nr. 3106 Ziffer 3. VV RVG wird in dem entsprechenden Kommentar lediglich auf die Erläuterungen zu VV 3104 Bezug genommen und verwiesen (Gerold/Schmidt u. a., a. a. O., VV 3106, Randnr. 4). In der Kommentierung zu Nr. 3104 VV RVG wird dann ausdrücklich angegeben, dass für den Fall, dass die Parteien in einem Verfahren, für welches mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, einen schriftlichen Vergleich schließen, der dabei mitwirkende Rechtsanwalt eine gesonderte Terminsgebühr verdient. Bezüglich des Wortlautes wird hier auch ausdrücklich auf die Widersprüchlichkeit in den Formulierungen des RVG abgestellt und hingewiesen (vgl. Gerold/Schmidt u. a., a. a. O., Nr. 3104 VV RVG, Randnrn. 54, 55 ff). Damit wird bei dieser Kommentierung gerade, wie auch vom SG Speyer, a. a. O., nicht nur auf die widersprüchlichen Ausformulierungen in den Nrn. 3104 VV RVG und 3106 VV RVG abgestellt, sondern zusätzlich die „Verknüpfung" dieser beiden Nummern betont. Hieraus resultiert dann der klägerische Anspruch auf eine fiktive Terminsgebühr. Letztlich wird die Auffassung des Gerichts auch durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 27.10.2005, AnwBl 1/2006, 53, gestützt, da auch hiernach für den Fall, dass ein erstinstanzlich geführter Prozess durch einen schriftlichen Vergleich abgeschlossen wird, neben einer Verfahrensgebühr und einer Einigungsgebühr auch eine Terminsgebühr entsteht.

Nach alledem ist dem Kläger die - allein streitbefangene - Terminsgebühr nach Nrn. 3106/3104 VV RVG zuzubilligen, und zwar auch in der beantragten Höhe (200,00 €; hiervon anteilmäßig

2/3).

Hieraus errechnet sich dann - einschließlich der unstreitigen Gebühren für das Widerspruchsverfahren - ein Gesamtbetrag der vom Beklagten dem Kläger zu erstattenden außergerichtlichen Kosten in Höhe von 663,91 €.

Diese Entscheidung ist gemäß § 197 Abs. 2 SGG endgültig.

Aktenzeichen: S 10 SB 3025/05 KO-A

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